Es gibt nicht DIE Symptome
Margrit Simeon erlitt einen Herzinfarkt. Wie dieser ihr Leben veränderte und was Herzintelligenz mit Verantwortung zu tun hat, erklärt sie im Gespräch.
Margrit Simeon ist heute 60 Jahre alt und sagt: «Mein Herzinfarkt hat mein Leben grundlegend verändert, für mich gibt es ein Davor und ein Danach.» Davor hat die eidgenössisch diplomierte Sozialarbeiterin als Sozialberaterin im Spital gearbeitet, zwei Kinder grossgezogen und Angehörige eng begleitet. Danach kündigte sie ihren Job, machte sich selbständig und kaufte ein Pferd. Doch der Weg zu ihrem neuen Leben war alles andere als unbeschwert.
Margrit hat sich eigentlich nie grosse Sorgen um ihre Gesundheit gemacht, auch dann nicht, als ihr Blutdruck bei einer Gratis-Messung bei Ihrem Arbeitgeber viel zu hoch ausfiel: «Die Werte haben mich nicht interessiert, ich nahm sie nicht ernst. Ich hatte keinen Platz in meinem Leben, um mich um eine solche Zahl zu kümmern - ausserdem lebte ich gesund und sei daher nicht gefährdet, dachte ich zumindest.» Die Sozialarbeiterin trank kaum Alkohol, machte viel Sport, ernährte sich gesund und hatte kein Übergewicht. Ein paar Monate später bekam sie jedoch plötzlich Grippesymptome, hatte starke Gliederschmerzen und fühlte sich sehr unwohl. Sie rekapituliert: «Ich hatte in dieser Zeit sehr viel Stress. Sei es mit der Arbeit aber auch im Privaten. Ich war immer die Ansprechperson für jegliche Herausforderungen und hatte endlose To-Do-Listen im Kopf. Ich versuchte mich vor allem am Arbeitsplatz zu wehren, beantragte ein tieferes Pensum – doch ich wurde nicht gehört.»
Als die Gliederschmerzen und das Krankheitsgefühl immer stärker wurden und auch noch Übelkeit dazu kam, rief Margrit das Telmed ihrer Krankenkasse an. Dort vermutete man eine Grippe und empfahl wegen der Übelkeit das Bett höher zu stellen. Doch es wurde nicht besser, sie war zunehmend beunruhigt: «Ich hatte ein starkes Gefühl, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmt.» Trotzdem versuchte sie die Symptome zu ignorieren. Am nächsten Tag nahm Margrit ein Schmerzmittel ein und ging arbeiten, obwohl sie sich kaum bewegen konnte.
An ihrem Arbeitsort im Spital angekommen, rief sie einen Arzt im Haus an, der mit ihr noch am gleichen Tag ein EKG und Bluttests machte. «Das EKG war unauffällig, meine Symptome blieben diffus, also ging ich zurück an meinen Arbeitsplatz. Ein paar Stunden später rannte der Arzt jedoch in mein Büro mit den Laborergebnissen und sagte, ich müsse sofort auf die Intensivstation, der Nachweis im Blut - erhöhte Troponin-Werte, ein für den Herzmuskel spezifisches Enzym, das bereits bei kleinsten Verletzungen im Blut gemessen werden kann - deuten auf einen Herzinfarkt hin und das sei für mich lebensbedrohlich.» Der Arzt rettete Margrit vermutlich das Leben.
In der Schweiz erleiden pro Jahr etwa 30’000 Menschen einen Herzinfarkt oder eine Angina pectoris. Es ist eine der häufigsten Gründe für Todesfälle und Spitaleinweisungen. Je schneller die medizinische Notfallbehandlung einsetzt, desto höher sind die Überlebenschancen. Als typische Symptome gelten ein heftiger Druck und klemmende, beengende oder brennende Schmerzen in der Brust (Dauer länger als 15 Minuten), oft verbunden mit Atemnot und Todesangst. Manchmal strahlt der Schmerz in den ganzen Brustkasten, gegen beide Schultern, Arme, den Hals, Unterkiefer oder Oberbauch. Bei Frauen, Diabetiker*innen und älteren Patient*innen zeigen sich die Symptome jedoch oft diffuser zum Beispiel mit unerklärlicher Übelkeit und Erbrechen oder starker Schwäche. Auch deshalb kommt es bei Frauen mehr zum Tod durch einen Herzinfarkt.
«Bei einem Verdacht auf Herzinfarkt braucht es unbedingt eine klinische Untersuchung, ein EKG und die Bestimmung von Troponin im Blut. Troponin ist ein Stoff, der im Blut ansteigt, wenn die Zellen des Herzmuskels beschädigt werden», erklärt Isabella Sudano, leitende Ärztin im Universitären Herzzentrum/Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich. Dabei sei wichtig zu wissen, dass erhöhte Troponin-Werte auch bei anderen Krankheiten eine Rolle spielten: «Das Troponin ist auch bei Patient*innen mit einer Herzmuskelentzündung oder dem Takotsubo-Syndrom (sog. Broken-Heart Syndrom) erhöht und auch nicht kardiale Ursache führen zur Troponin-Erhöhung wie etwa Niereninsuffizienz, ein Schlaganfall oder eine Hirnblutung.»
«Es gibt nicht DIE Symptome, ich hatte jedoch eine sehr starke innere Stimme, die mir sagte, etwas stimmt nicht. Es ist wichtig, auf sich zu hören», erklärt Margrit rückblickend. Kaum informierte der Arzt über die Blutwerte, brach bei der Sozialarbeiterin nämlich der Herzinfarkt aus. «Als hätte mein Herz darauf gewartet, endlich loslassen zu können und in sicheren Händen zu sein. Der Infarkt fühlte sich wie ein Stromstoss an. Erst durchs Herz, dann in die Beine, es waren unbeschreiblich starke Schmerzen. Angst jedoch hatte ich keine, einen Moment sah ich sogar ein Licht, vermutlich war das eine Nahtoderfahrung.» Margrit wurde einer Stent-Operation unterzogen und musste eine Woche im Spital bleiben, dann folgten drei Wochen in der Reha-Klinik.
Von Betroffenen für Betroffene
Reden hilft. Auf unserer Peer-Plattform können Herz-Kreislauf-Erkrankte und ihre Angehörigen mit anderen Betroffenen in Kontakt treten.
Die Herzpatientin hatte nach dem Infarkt keine Gefühle der Erleichterung, sondern erst eine psychische Krise. Sie konnte die Arbeit in Gedanken nicht loslassen und empfand den Infarkt als eine Art von Niederlage: «Ich schämte mich, denn ich brachte einen Herzinfarkt mit einem ungesunden Lebensstil in Verbindung, mit Übergewicht, Rauchen und fettigem Essen. Erst später realisierte ich, dass auch Stress und genetische Faktoren eine Rolle spielen. Die Reha war für mich und meine psychische Regeneration daher sehr wichtig.» Margrit musste nicht sehr viel ins Krafttraining oder das Lernen von gesunder Ernährung investieren: «Mich musste man ja nicht für eine gesunde Lebensweise motivieren. Für mich war viel wichtiger, endlich Raum zu haben für mich, eine Pause vom Alltag zu haben und mich mit anderen Betroffenen, auch Burn-Out-Patient*innen auszutauschen. Ich wollte danach unbedingt meine Muster ändern, doch das ging nicht so schnell wie erhofft.» Und das obwohl Margrit nun wusste: Stress lässt den Blutdruck ansteigen, besonders gefährlich ist dabei Dauerstress. Denn ein dauerhafter hoher Blutdruck kann zu einem Herzinfarkt, einer Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen oder Herzversagen führen. Auch ein Burn-Out oder Mobbing kann eine vorzeitige Alterung des Herz-Kreislauf-Systems fördern und zum Beispiel zu akuten Herzbeschwerden bis hin zu Herzinfarkten, Herzrhythmusstörungen oder Herzversagen führen.
Es brauchte noch einige Monate, bis Margrit ihren Job kündigte. Dann entschied sie sich für ein Jahr Auszeit. Als erstes habe sie sich ein Atelier gemietet: «Ein Raum nur für mich allein. Dort machte ich das erste Mal einfach nur, was ich wollte.» Dann plante sie eine Reise: Nach Irland zu Pferden. «Das war mein Schlüsselmoment für meine Zukunft.» Sie nahm als Vorbereitung Reitstunden in der Schweiz und reiste dann sechs Wochen alleine durch Irland. Nach ihrer Rückkehr kaufte Sie sich ein Pferd. Heute bietet sie Coachings mit und ohne Pferd an. Auf Ihrer Website schreibt sie über ihren Herzinfarkt: «Was habe ich mit dieser «verdammt» schwierigen Situation gemacht? Ich habe mich entschieden die Krise als Chance zu nutzen, auf mein Herz zu hören und Schritt für Schritt ein Herzverbundenes- Leben zu gestalten. Das fühlt sich gut und zufrieden an für mich und ich bin dankbar, diese Entscheidung getroffen zu haben.» Ihre Erfahrung gibt sie heute an andere Menschen weiter, damit diese vorher reagieren und es gar nicht erst zum Herzinfarkt kommt – und schafft mit den Klient*innen eine sogenannte «Herzintelligenz”. Sie schildert ihre Arbeit: «Wir können unsere Herzintelligenz bewusst aktivieren. Je mehr wir auf die Stimme unseres Herzens achten und wie sie uns leitet, desto besser können wir auf ihre Intelligenz und Führung zugreifen.» Und was ist die beste Prävention? «Die beste Prävention für einen Herzinfarkt ist die Selbstverantwortung», sagt Magrit direkt: «Wir Menschen sollten uns selber wahrnehmen und unser Leben in die Hand nehmen, wenn der Stress zu gross wird. Schlussendlich liegt die Verantwortung für unser Leben in unseren eigenen Händen.»
Mehr über Margrit Simeon: margritsimeon.ch